Der Beruf des Architekten hat viel mit Wissenschaft zu tun: Statik und Geometrie, Energieeffizienz und Tragfähigkeit von Bausubstanzen sind ein wichtiger Teil des Berufs. Durch die große Rolle von Physik, Mathematik und Technik vergessen daher viele, dass ein Architekt nicht nur eine wissenschaftlich gut ausgebildete Person ist, sondern auch ein Künstler, der sich in Bauwerken ausdrückt wie ein Maler in seinen Gemälden.
Nur wenige Menschen sehen diese Verbindung von Architekt und Künstler. Sogar Architekten selbst verstehen sich oft nicht als Künstler, sondern als Dienstleister oder Wissenschaftler, die Aufträge abarbeiten. Dennoch erzählt jedes Gebäude eine Geschichte, trägt jede Häuserfront die Handschrift des Architekten, ist jeder Spaziergang durch die Stadt eine Geschichte, die in Fensterrahmen, Eingangstüren und Erkern erzählt wird. Genau das erkannte der deutsche Philosoph, Kulturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin, der diverse Werke über die Ästhetik von Städten schrieb und so eine Art eigenes literarisches Genre erschuf.
Multitalent Walter Benjamin
Der 1892 in Charlottenburg geborene Walter Bendix Schoenflies Benjamin war ein deutscher Philosoph, der unter anderem die Werke von Honoré de Balzac, Charles Baudelaire und Marcel Proust ins Deutsche übersetzte. Benjamin war außerdem Kulturkritiker und lebte den größten Teil seiner schaffenden Periode in Paris, wo er oft und lange durch die Straßen der Stadt schlenderte, um die Architektur zu betrachten und über sie zu schreiben.
Benjamin begann seine Ausbildung mit dem Studium Kants, interessierte sich aber auch immer sehr für das literarische Genre der Romantik. Die Verbindung zwischen dem sehr pragmatischen Neukantismus und den sensiblen Themen der Romantik sind wohl das, was Bejamins Werke und Ideen im weiteren Verlauf seines Lebens sehr stark prägte. Gerade in seinem 1928 erschienen Buch „Einbahnstraße“ zeigt sich sehr stark, wie Benjamin Ästhetik in Sprache verpackt und so der Architektur einen neuen Gesichtspunkt gibt. Es ist in diesem Werk, in dem Walter Benjamin die Rolle des „Flaneur“ einführt. Der Flaneur bewegt sich durch eine Stadt und beobachtet, nimmt auf und gibt letztendlich wieder. Stark angelegt an das romantische Ideal „Recollect in tranquility“ („Beschreibe und erlebe erneut in Ruhe“), nutzt er die Rolle des Flaneurs um Gebäude zu beschreiben, die er bei seinen Streifzügen durch die Stadt gefunden hatte. Das besondere dabei ist die fast schon surreale Sprache die er benutzt, um ganz alltägliche Bauwerke zu beschreiben.